Olga Tokarczuk oder: Deutsche Verlage verweigern sich Blakes Versen


Olga Tokarczuk in der Stadtbibliothek Bielefeld


Würde ich Bild- Niveau anstreben, oder jedenfalls mit Schlagzeilen operieren, die Überschrift für die gestrige Lesung von Olga Tokarczuk wäre schnell gefunden: Deutsche Verlage verweigern sich Blakes Versen.

Im Rahmen der Bielefelder Literaturtage, die dieses Jahr unter dem Motto „Beziehungsweise“ stehen, stellte Olga Tokarczuk gestern Abend ihren neuesten Roman „Der Gesang der Fledermäuse“ vor, einen Krimi, der im Original und auch in den bereits in andere Sprachen übersetzten Ausgaben nach einer Gedichtzeile von William Blake: „Treibe einen Pflock durch die Gebeine der Toten“ heißt. So ein Titel sei dem deutschen Leser nicht zuzumuten befand man.

Frau Tokarczuk liest nach einigen einleitenden Worten von Barbara Frey aus ihrem Roman. Sie liest auf polnisch, schnell und mit viel Temperament, im Wechsel mit Frau Frey, die die selben Passagen aus der deutschen Übersetzung liest.

Der vorgestellte Krimi spielt, wie die meisten Bücher von Olga Tokarczuk in Glatz, wo die Autorin seit gut zwanzig Jahren lebt. Ein besonderer, melancholischer Landstrich, der scheinbar weder Vergangenheit noch Gegenwart hat, sondern hauptsächlich Sehnsüchte aufeinander schichtet. Die ursprünglichen Siedler verließen den Landstrich, andere kamen, nur um sich nach der verlassenen Heimat zu sehnen. Hier siedelt Frau Tokarczuk ihre schrullige Heldin, Janina Duszejko, an, eine Frau, die etwas rebellisches hat, die aber ihre Umgebung auch nerven sollte, betont Frau Tokarczuk später im Gespräch und erzählt, dass sie lange gegrübelt habe, welche Eigenschaft, welchen Tick sie Janina verleihen sollte, damit ihre Mitmenschen sie wirklich anstrengend finden würden. Auf einer Party habe sie dann beobachtet, wie eine Frau die Gäste beständig nach ihren Sternzeichen und Aszendenten befragte und wie überfordert und gereizt die Reaktionen darauf waren. In dem Moment war Janinas Leidenschaft für Astrologie besiegelt.
Diese astrologiebegeisterte alte Dame spielt eine wesentliche Rolle bei der Aufklärung mysteriöser Morde, denen ausnahmslos Jäger zum Opfer fallen und bei denen Rehe eine seltsame Rolle spielen.

Das die Lesung abschließende Gespräch ist unterhaltsam und aufschlussreich, Frau Tokarczuk ist ein Profi, der geschickt die richtigen Anekdoten zur rechten Zeit zu erzählen weiß, und ihre sympathische Übersetzerin versteht es, den Charme ins Deutsche zu übertragen.
1331mal gelesen
Bjoern (Gast) - 16. Nov, 00:34

Finde den Titel aus anderen Gründen seltsam. Eine gute Idee eines anderen Autors als Stempel für das Eigene?

elke66 - 16. Nov, 15:02

Vielen Dank für diesen klugen Kommentar. Von dieser Seite habe ich es noch gar nicht gesehen. Obwohl ich nicht denke, dass es als Stempel gemeint war, eher als Inspirationsquelle, in dem Sinne, dass der Leser immer der erweiterte Autor ist, wie Novalis sagt. Und niemand von uns ohne Rückgriff auf andere Schreiber schreiben kann (und sei es die Bildzeitung oder die neuesten SMS).
WladimirundEstragon - 13. Jan, 11:48

Die Frau T ist gut, wir glauben, wir haben schon ganz viel von der gelesen und dass die in einer Stadt liest, die es gar nicht gibt, passt auch. Überhaupt sollten alle Lesungen in dieser Stadt stattfinden, ist das nicht ein sonderbarer Einfall?
elke66 - 13. Jan, 12:09

das ist ein wunderbarer Einfall. Weil ich dann nicht mehr reisen müsste, weil ja alle zu mir kämen.
rosmarin (Gast) - 28. Feb, 10:14

Sie sind in der nicht-existenten Stadt????
Oha.... das bin ich auch.
zumindest wechselweise :-)

Weberin - 28. Feb, 10:29

ja, ich habe das schon teilweise herausgelesen aus ihrem blog ;-).
wer weiß, vielleicht sind wir einander schon begegnet, in der unwirklichkeit eines nebligen tages im b. regen ;-)

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