Januar

Dieser Januar
Wie eine weiße Wand
Ein unwirkliches Fieber
Als wäre das alles schon Jahre her
Und gleichzeitig erst gestern
So eine Nähe zur Zeit
So eine Entfernung zur Wirklichkeit

Alles aussaugen
(wie ein Vampir so weiß die Haut)
und nie wieder davonfliegen
mit dem zärtlich werbenden Wind
der mir auf seine Art hilfreich unter die Arme fährt
sie kühl streichelt
immer wieder beharrlich
als gäbe es einen Platz für mich
auf der Welt
in der Zeit
412mal gelesen
Bess (Gast) - 19. Jan, 22:36

"So eine Nähe zur Zeit
So eine Entfernung zur Wirklichkeit"

Das scheint mir ein Paradoxon.
Für mich hieße es: Bin ich nah der Zeit oder *in der Zeit* oder *mit der Zeit* - dann bin ich und fühle ich mich sehr wirklich.

Aber wer weiß, vielleicht hat die Schreiberin mehrere Zeit-Räume, im einen sein hieße dann, dem anderen fern zu sein. ?

Weberin - 20. Jan, 06:51

Vielleicht lebt die Schreiberin in Paradoxen, oder aber die Poesie lebt zuweilen davon...
Gerade die Nähe zur Zeit, dieses Höchstmaß an Vergänglichkeit, entfernt doch von der Wirklichkeit, dem jetzt erlebten Moment. Ich finde dieses Paradox macht das Leben überhaupt aus.
Kennen Sie "Das Todesurteil" von Blanchot? Dieses Buch besteht scheinbar ausschließlich aus Paradoxen und ist zugleich ein absolut sinnliches Buch.
Bess (Gast) - 20. Jan, 19:08

Hallo liebe Weberin

"die Nähe zur Zeit, dieses Höchstmaß an Vergänglichkeit"

Ich bin keine geschulte Philosophin ... Aber ich empfinde die Zeit in ihren möglichen Gliedern, das Jetzt also ebenso eine Nähe zur Zeit (vielleicht, wenn man im Einklang ist, eine Verbindung einen Lidschlag lang), auch die Vergangenheit und die Zukunft kann mir die Zeit äußerst real sein.

Was ist denn vergänglich? Die Zeit? Der Mensch? Das Maßband, die Stundenuhr, der Sand?

Sie betrachten im Text diese eine Facette.
Die Zeit, das Leben, die Vergänglichkeit haben so viele Facetten. Also rechne ich mit neuen Texten. Und einer wird vielleicht eine entgegengesetzte Empfindung zum Thema haben. Oder einer eine Aufhebung des Paradoxon?
elke66 - 20. Jan, 20:03

Liebe Bess,
erst einmal vielen Dank für das Gespräch. So häufig unterhält man sich nicht über Gedichte. Das ist schade, und um so schöner, wenn es dann dennoch geschieht.
Und zum anderen, auch ich bin keine geschulte Philosophin, aber ich liebe die Weisheit, ich habe einen enormen Respekt vor Menschen, die plausibel, nachvollziehbar und zutiefst philosophisch argumentieren können.
Ihre Fragen sind klug, gerade weil sie nicht eindeutig zu beantworten sind. Aber die Nähe zur Zeit, meint als "Höchstmaß der Vergänglichkeit", diese Tatsache, dass der Mensch sich dermaßen abhängig macht von der Zeit, sich von ihr bestimmen lässt, sie so verliert und all das, weil er einen großen Teil seines Lebens eben gegen die Vergänglichkeit ankämpft.
Zeit und Vergänglichkeit das sind wohl die stärksten der Fäden, an denen unserer aller Leben aufgehängt ist, daher können Sie getrost mit neuen Texten dazu rechnen. Schwieriger und vielleicht auch verlockender wäre der Versuch ein Gedicht zu schreiben, das ohne Zeit und Vergänglichkeit auskommt.
herzliche Grüße
elke

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