Morgen

Da liege ich, wie aufgebahrt auf dem weißen Laken, den Blick an die Zimmerdecke geheftet, zögernde Bewegungen (es ist nicht die richtige Zeit, um sich ins Bett zu legen), die Schatten an der Wand wirft die Sonne (kleine Gesandte der Sonne), nicht die Scheinwerfer vorüberfahrender Autos. Das Blau hinter dem Fenster ist das des Tages, nicht das der Nacht. Und trotzdem liegen bleiben, entscheiden liegen zu bleiben, mich nicht zu bewegen, den Blick an die Decke geheftet zu lassen, die Schatten zu ignorieren (stört mich nicht, ich denke nach). Die Gedanken marschieren an der Zimmerdecke auf, einer, der immer wieder ausbricht (was sollen wir nur mit ihm tun? Er kann sich nicht einfügen). Die Augen schließen, vielleicht lösen sie sich hinter den Lidern auf, vielleicht öffnet jemand das Fenster und der Ausbrecher (dieser hartnäckige, lästige Gedanke) entkommt unbemerkt, macht sich aus dem Staub, findet sich ab mit den Tatsachen, lässt den Trotz dort zurück, wo er hingehört (in Büchern, in Filmen, in die Erinnerung). Ich könnte ihn wegräumen, wie die Weihnachtskugeln nach dem Fest, die man dann im Keller vergisst, weil sie niemand mehr braucht, kein Baum zu Weihnachten, keine Kinderaugen, kein Schnee, nur das stündliche Glockenläuten und die Kirchgänger am Haus vorbei auf dem Weg zur Kirche, einmal im Jahr, Lieder singend, Gott preisend, Kekse essend. Stille Nacht. Und wieder ein Schatten, die Sonne, die den Arm trifft, wärmt. Es muss Sommer sein. Der Schweiß, die feinen Schweißperlen auf der Haut, die Erinnerung an den Duft, ein Schmerz, der sich nicht wegwischen lässt wie die Erinnerung, wie der Schweiß und die andere Flüssigkeit im Gesicht. Diese Bilder hinter geschlossenen Lidern und die Gedanken an der Zimmerdecke. Die Geräusche vor dem Haus und wie jedes dieser Geräusche etwas zerbricht. Wie etwas anderes zu Boden fällt, immer wieder zu Boden fällt und doch nicht zerbricht, wie jemand, ein ganz bestimmter Jemand, mich immer wieder ansieht und doch nicht erkennt, die Augen streift, die Ohren, die Haarspitzen, der Blick der auf dem Mund verweilt und die Stirn in Falten legt, aber dann ein Lidschlag und alles ist ausgelöscht, jede Hoffnung ist ausgelöscht und nichts anderes möglich, als sich abzuwenden, die Gedanken umzulenken (denk an deine Nachbarin, die Wettervorhersage, den Hund, dem du einen Knochen versprochen hast). Bis wieder ein Schatten mehr verspricht, als ein Leben halten kann. Bleib einfach liegen und warte bis der Tag vergeht, die Scheinwerfer, die Sonnenstrahlen ablösen, die nächtliche Angst die tägliche Leere ersetzt, der Hund vor der Tür jault, der Mann der Nachbarin betrunken nach Hause kommt (aber nach Hause kommt, so etwas hat, ein Zuhause) und du nicht einmal mehr die Augen schließen musst, um unterzutauchen. Keine Gedanken mehr an der Zimmerdecke, die Buchstaben aus sämtlichen Büchern gelöscht, deine Hände bewegungslos (weil erwartungslos) neben dir und eine Erinnerung an Krümel, an Kekskrümel im Bett, an Taschenlampen unter der Bettdecke, an einen sehr vertrauten warmen Geruch, an dieses Geräusch, wenn deine Mutter deinen Namen ausgesprochen hat. Das Durchqueren der Tage und die Aufregung, die Freude, die helle Begeisterung, wenn man morgens die Augen aufgeschlagen hat. (wann hat das aufgehört?). Die Suche nach dem Mittelpunkt der Welt (die Angst noch weiter zu fallen), abgelöst durch den Wunsch nach traumlosen Nächten. Ohne Morgen. Und dann merken ich bin noch nicht so weit. Das ist der Stachel, der trotz allem nicht ausrottbare Glaube an ein Morgen.
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