Das Klavier

Das Klavier, die Mandoline, zerspringendes Glas. Ein Kind mit einem alten Fotoapparat in der Hand. Aufgeschürftes Knie, verrutschte Socken, Locken auf dem Kopf, Krähen am Himmel. Krähennester um die Augen der Lieblingstante. Sie ist uralt. Mindestens dreißig oder fünfzig. Sie hat mir ein Hündchen gestrickt, es kann sprechen. Aber ihr Bruder hat nur noch ein Bein, das andere aus Holz. Was für ein Lärm, wenn er nachts auf die Toilette muss, sagt die Großmutter. Drahtbrille und schwarzes Kleid mit weißen Punkten, der Kopf aus Zeitungspapier, der Körper eine leere Flasche, steht auf dem Fensterbrett, sieht wie der Verkehrsstrom wächst, die Bäume, die Gärten verschwinden, Asphalt, Bauwagen, Möbelhäuser und längst kein Klo mehr im Treppenhaus, Holzbeine auch nicht, dafür selber Krähennester im Spiegel (wer ist das? Warum starrt die mich so an?). Irgendwo zwischen dreißig und fünfzig, ohne Klavier spielen gelernt zu haben, das Fenster öffnen (wo ist die Großmutter mit der Drahtbrille geblieben? Das Haar aus weißer Wolle und ein freundlicher Blick, ganz ohne Krähennester). Draußen graue Reste von Schnee, zwei Männer mit Arbeitshandschuhen, Schweiß auf der Stirn trotz der Kälte. Im Baum knackt es, Schnee fällt vor ihre Füße, angespannte Adern am Hals. Sie tragen ein Klavier. Auf dem Seitenstreifen wartet der Möbelwagen. Ich habe mal einen geliebt, der war Möbelpacker, er hatte nur ein Bein und ein Glasauge. Die Großmutter flaschengrün unter dem getupften Kleid. Meine Mutter trug ein dunkelblaues Kleid mit weißen Tupfen (Tupfen sind etwas anderes als Punkte, merk dir das Kind), als ich mit dem Möbelpacker durchbrannte (sein Auto steht vor der Tür, du kannst uns winken!).
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