Sonntag, 6. Februar 2011

Sogar Papagien überleben uns

Sogar Papageien überleben uns

„Die Alten scherzen und lachen und machen sich lustig übereinander. Die jungen Autoren sind ernst und höflich. Und ich bin zwischen „alt“ und „jung“ und weiß nicht, ob ich noch ernst sein darf oder schon scherzen muss.“ Diese Worte schenkt die Lyrikerin und Essayistin Olga Martynova ihrer Heldin Marina in ihrem ersten Roman mit dem Titel: „Sogar Papageien überleben uns“. Vielleicht ist dieses Alter zwischen jung und alt das beste Alter, um so ein Buch zu schreiben. Ein Buch zwischen Ernst und Heiterkeit, über das Wesen der Zeit und ein Jahrhundert in dem Menschen einiges angestellt haben, das die Zeit nicht vergessen machen kann. An das die Erinnerung in unterschiedlicher Weise heranreicht, zwischen Vergessen und Beschwören, zwischen Abgeklärtheit und Sentimentalität.

Vor zwanzig Jahren waren sie ein Paar, der Deutsche Andreas und die Russin Marina. Sie haben sich niemals ganz aus den Augen verloren, aber jeweils andere Partner geheiratet und sich wieder scheiden lassen. Jetzt ist Marina in Deutschland, um im Rahmen eines Literaturfestivals über Daniil Charms und seinen Freundeskreis zu referieren. Andreas hat ihr einen Heiratsantrag gemacht, aber dann schweigt das Taschentelefon mehrere Tage lang. Marina widmet sich ihren Erinnerungen und den wenig fassbaren und eigentlich immer nur skizzierten Nebenfiguren, wie dem finsteren Dichter Fjodor und dem Maler Gregor, der sie fasziniert, wie sie „alle Menschen faszinieren, die leicht schlafwandlerisch und nicht ganz nachvollziehbar reden“.
Ein deutsch – russisches Verhältnis wird in diesem Buch beschrieben. Und das im weitesten Sinne des Wortes. Zwanzig Jahre Zeit- und Lebensgeschichte, wobei Martynova gekonnt zeigt, wie privat jede politische Umwälzung ist, wie sehr das politische das Private bestimmt, auch in diesen Zeiten, die wir „frei“ nennen und demokratisch. Am großartigsten aber ist, wie es der Autorin gelingt die Zeitlosigkeit des Geschehenen in Form seiner Allgegenwärtigkeit glaubhaft zu machen. Die Geschichte schwingt immer mit, nie aufdringlich, aber immer präsent, gewürzt mit den Gedichten Fjodors, mit der unterschwelligen Anwesenheit Charms und der Vögel, das sind die Pfeiler, die den Roman tragen, die Bäume um die die unfassbare Zeit herumfliegt. Die Zeit die in einem dreizeiligen Balken von Jahreszahlen von 5. Jhd. v.Chr. bis 2006 die Kapitelüberschriften schmücken, wobei diejenigen Jahreszahlen die Marinas Erinnerungen streifen, fett gedruckt sind. Eine zusätzliche optische Untermauerung dieses Romans. Die Idee dazu, erzählt die Autorin in einem Interview, sei ihr nachts gekommen, nachdem der Roman bereits fertig war.

Zum Ende des Buches fasst Fjodor, der grimmige Dichter, (der ebenso wie Olga Martynova nun Prosa schreibt) den Roman mit ein paar Sätzen zusammen, wenn er das Motto seines eigenen Romans, das wiederum von Wwednskij stammt vorstellt:
„In einem Roman wird das Leben beschrieben, da läuft angeblich die Zeit, aber sie hat nichts Gemeinsames mit der wirklichen Zeit, da gibt es keine Ablösung des Tages durch die Nacht, da entsinnt man sich spielerisch beinah des ganzes Lebens, während du dich in der Wirklichkeit kaum an den gestrigen Tag erinnern kannst. Und überhaupt: Jede Beschreibung ist falsch. Der Satz: ‚Ein Mensch sitzt, über seinem Kopf ist ein Schiff’, ist doch vielleicht richtiger als ‚Ein Mensch sitzt und liest ein Buch’. Der einzige seinem Prinzip nach richtige Roman ist der von mir. Aber er ist schlecht geschrieben.“
Dieses Buch ist ganz sicher nicht schlecht geschrieben. Höchstens schlecht beschrieben (von mir), weil sich diese „Komödie der Zeit“ (wie Jochen Jung das Buch in seiner Rezension für den Tagesspiegel nennt), diese Prosa, die sich dem Zeitfluss überlässt, bei keinem Thema stehen bleibt, ebenso wenig wie die Zeit.
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Sehen Sie mal; ist heller geworden hier.
Vielleicht schaffe ich das demnächst auch mit dem Inhalt.
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