Sonntag, 11. Januar 2009

Wir haben nie über das Weinen geredet

Sie las mir diesen Satz vor
Und dann sagte sie
Es gibt ein paar Dinge, über die wir noch nie miteinander geredet haben
Und vielleicht ist das sogar ein Trost
Ein Hoch auf die Tassen im Schrank
Und einer macht einen Sprung
Ein anderer schlägt auf
Eine Mutter schlägt eine Bitte ab
(ich bitte dich, das geht doch nicht)
Und wir fühlen uns großartig heute
(wir das sind zwei Eintagsfliegen auf einem Honigbrot,
die dem Unglück die Stirn bieten)

Auf den Straßen sind heute so viele Menschen unterwegs
Als könnte etwas Neues beginnen
Als wären endlich alle Nüsse geknackt
Und die Schalen entsorgt

Einer zieht den Hut und ein anderer wirft einen Ziegelstein herein
Früher wollte ich immer Schornsteinfeger werden
(darauf läuft es hinaus)
die Rußpartikel der Unglücklichen sammeln
mir das Gesicht damit beschmieren
damit jeder der mich sieht
sich für einen Glückspilz hält

Aber ich wurde kein Schornsteinfeger
Ich stellte fest
Und das war der Anfang
Es war nicht leicht
Ein Unglück unter vielen anderen
Manchmal traf etwas zu
Und so verging die Zeit
Ich war kein Schornsteinfeger
Und niemand glaubte, ich sei in der Lage, Glück zu bringen

Bevor ich feststellte, dachte ich nach
Und während ich nachdachte, folgte ein Tag dem anderen
Sie verfolgten einander
Warum taten sie das
Warum blieben sie nicht stehen, um nachzudenken
Wie Rotkäppchen, die dem Wolf gescheite Fragen stellte,
bevor sie sich fressen ließ
Die Tage waren nicht so
Sie folgten einer dem anderen
Als hätten sie keine Wahl
Und so verging die Zeit

Ich würde kein Schornsteinfeger mehr werden
Das Nichts zwitscherte in den Ästen,
legte sich verführerisch in die Wolken,
regnete aus heiterem Himmel auf die Welt,
füllte die Flüsse, die Tassen, die leeren Bierflaschen am Wegesrand,
die trockenen Augen der Trauernden, den klaren Blick der Suchenden,
die Schornsteine
die wohlbedachten Schornsteine.
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Rotkäppchen

Sie schlug die Augen auf
Na gut, wieder ein Tag
Wieder ein Himmel und ein Bett
das man verlassen konnte
Sie nahm den roten Hut, malte ihre Lippen an
Wein im Korb, Kuchen
Das musste reichen
Sie machte sich auf den Weg
Im Wald raschelte das Laub, zwitscherten die Vöglein,
begegnete ihr der Wolf
Geh mir aus dem Weg sagte sie
Ich muss zur Hexe
Zu spät, sagte der Wolf, die habe ich längst gefressen
Wenn ich aufstoße kommen mir immer noch ihre Zaubersprüche hoch
Doch nicht zu der, sagte sie
Und jetzt lass mich vorbei
Du musst noch Blumen pflücken, sagte der Wolf
Ja, ja, sagte sie, und Steine sammeln für deinen Bauch.
Der Wolf war nicht besonders klug
Er senkte den Kopf und schlich ihr nach wie ein geprügelter Hund
Sie wiegte ihre Hüften
Sie schwebte
Sie tanzte
Er durfte gar nicht hinsehen
Und dieser süße Duft
Sie schlug an die Tür
Ich bins, mach auf
Ein paar Dielenbretter knarrten
Ein Schlüssel bewegte sich rostig im Schloss
Dann war sie weg
Die Tür schlug zu
Und wenn sie nicht gestorben sind
Dann wartet er noch heute
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Ich sitze auf den Dächern

Ich sitze auf den Dächern
Und bestimme das Geburtsdatum der Verstorbenen
Ich mische das Rot mit dem Blau
Zwischen den Farben beginnt der Tag
Ein Gemisch aus Luft und Erde
Wenn ich die Dächer verlasse
Kann ich die Geschichten wachsen sehen
Wie sie Knospen treiben blühen könnten
Wenn sie unbewusster wären
Und statt zu landen die Worte suchten
In denen ausreichend viel Schweigen liegt
Um sie nicht zu verstehen
Sondern zu begreifen
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