Freitag, 19. November 2010

Eine Art Tagebuch

Ich bin ein Räderwerk. Ich bestehe aus mehreren, miteinander unverbundenen Ideen. Sobald sie sich verbinden, löschen sie einander aus.

Wir sind weit entfernt von der Idee einer Demokratie. Gerade in der Kunst sind wir weit entfernt von Gleichberechtigung. Von einer Haltung, die diesem Begriff nahe kommen könnte. Ihn berühren und ernst nehmen würde.
Würde ist ein weiterer Begriff, den man zum weiten Begriff machen kann, wenn man ihn nicht erklären und verstehen will. Der Künstler, der nach Erfolg strebt, benimmt sich würdelos. Nehmen Sie mich als Beispiel. Um meine Worte zu verkaufen, um gelesen zu werden, poste ich in Foren, schreibe Rezensionen für virtuelle Feuilletons, ohne darum gebeten worden zu sein, und – was weitaus schwerer wiegt – ohne eine wirkliche Notwendigkeit dazu zu verspüren (außer der gelesen und wahrgenommen zu werden). Ganz schnell gelangt man dann zu diesem Punkt, an dem man beginnt sich anzubiedern (und man zu schreiben statt ich). Sich selbst verkauft man diese Art zu handeln als „Offenheit“, „Neugier“, vielleicht auch als „Unsicherheit“ und „Zweifel“.
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Vom Sinn eines Tagebuches:

"Wir leben auf einem laufenden Band, und es gibt keine Hoffnung, dass wir uns selber nachholen und einen Augenblick unseres Lebens verbessern können. Wir sind das Damals, auch wenn wir es verwerfen, nicht minder als das Heute –
Die Zeit verwandelt uns nicht.
Sie entfaltet uns nur.
Indem man es nicht verschweigt, sondern aufschreibt, bekennt man sich zu seinem Denken, das bestenfalls für den Augenblick und den Standort stimmt, da es sich erzeugt. Man rechnet nicht mit der Hoffnung, dass man übermorgen, wenn man das Gegenteil denkt, klüger sei. Man ist, was man ist. Man hält die Feder hin, wie eine Nadel in der Erdbebenwarte, und eigentlich sind nicht wir es, die schreiben; sondern wir werden geschrieben. Schreiben heißt: sich selber lesen. Was selten ein reines Vergnügen ist; man erschrickt auf Schritt und Tritt, man hält sich für einen fröhlichen Gesellen, und wenn man sich zufällig in einer Fensterscheibe sieht, erkennt man, dass man ein Griesgram ist. Und ein Moralist, wenn man sich liest. Es lässt sich nichts dagegen machen. Wir können nur, indem wir den Zickzack unserer jeweiligen Gedanken bezeugen und sichtbar machen, unser Wesen kennenlernen, seine Wirrnis oder seine heimliche Einheit, sein Unentrinnbares, seine Wahrheit, die wir unmittelbar nicht aussagen können, nicht von einem einzelnen Augenblick aus -."

(Max Frisch – Tagebuch 1946 – 1949)
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