Lesung von Hans Joachim Schädlich am 26. Oktober


Herr Schädlich wird keine Blumen bekommen. Das sehe ich sofort. Ich frage mich noch eine Weile warum, um nicht bei der Frage stehen zu bleiben, was Reisen mit Stille zu tun hat und ob Kokoschkins Reise eine stille Reise gewesen ist.

Nach den üblichen Einführungsreden, die wenig über den Autor und viel über den Redner aussagen, beginnt Herr Schädlich zu lesen.
Die Lächerlichkeit und Begrenztheit der Tischgesellschaft gewinnt durch seine Lesung an Schärfe und Komik. Die andere, parallel dazu laufende Geschichte mit Kokoschkins Erinnerungen erscheint mir beim Zuhören noch nüchterner. Es ist eine detaillierte Erinnerung, die jeden Wortwechsel genau wiedergibt, die sich der Vorstellung hingibt, die Erinnerung wäre ein rein sprachliches, rein intellektuelles Konstrukt, ohne Körper, ohne Gesicht und darum vielleicht eine Möglichkeit den Gefühlen zu entkommen.

Im Gespräch wird Herr Schädlich gefragt, wie er zu seinem Helden Kokoschkin gekommen sei. Das Interesse für das Jahr 1917 in Russland, antwortet er, hatte er bereits während seiner Studienzeit. Damals in der DDR wurde diese Zeit die „große sozialistische Oktoberrevolution“ genannt, sagt Schädlich. Er selbst nennt sie kurz und bündig den „bolschewistischen Oktoberputsch“. Er verknüpft, und habe das immer schon getan, historisch verbürgte mit fiktiven Personen. So seien Bunins Sätze in Kokoschkins Reise nahezu wortwörtlich aus Bunins Tagebuch „Verfluchte Tage“ übernommen. Schädlich sagt, er wolle die Erfindung glaubhafter machen durch die historischen Personen.
Ganz ruhig und ohne Eile lässt er sich von Erzählung zu Erzählung treiben, an diesem Abend im Gespräch, wie auch in seinem Roman, in dem er Kokoschkin der Geschichte nachreisen lässt, wobei das Fiktionale vom Historischen geleitet wird.
Hans Joachim Schädlich ist ein Mann, dem man gerne zuhört, weil er sich beschränkt, nicht weil er verwirrt (wie der Moderator nicht zu behaupten müde wird). Verwirrend ist das Leben, nicht das Erzählen, das versucht dieses Leben abzubilden.
Lakonisch werde sein Stil genannt, aber diese Einschätzung teile er nicht, sagt Schädlich. Er lasse dem Leser bewusst Platz. „Der ständige Versuch redundantes zu reduzieren“, sagt er, das klinge doch gut, oder? Und dazu falle ihm auch noch eine kleine Geschichte ein. Es geht um einen Pfandleiher, der auf die Rückzahlung eines lange überfälligen Schuldners wartet. Da der Schuldner sich weder meldet noch zahlt, beschließt der Pfandleiher ein Telegramm aufzugeben. Die erste Textfassung lautet: Nun, wann zahlst du zurück? Allerdings erscheint ihm diese Fassung zu lang und zu teuer und er reduziert den Text auf: Wann zahlst du zurück? Ach nein, denkt er, das ist zu lang, er weiß ja ohnehin worum es geht und so kürzt er weiter: wann zahlst du? Nun wann? Und schließlich schickt er dem Schuldner ein Telegramm in dem ein einziges Wort steht: Nun
Woraufhin der Schuldner antwortet: Nun nun.
Und glauben Sie mir, wenn Hans Joachim Schädlich diesen Witz erzählt, ist er nicht nur klug sondern auch komisch. Schädlich hat sehr viel zurückhaltenden Humor. Humor, der unaufdringlich und leise da ist, nicht als Gebell, als Geste, vielmehr als Haltung eines aufrechten Menschen.
Aber kommen wir noch einmal zurück auf seinen Grundsatz der Reduktion des Redundanten. Denn abschließend liest er die Passage aus Kokoschkins Reise in dem er diesen Grundsatz meisterhaft vorführt. Kokoschkin, der auf der Kreuzfahrt einer Frau Mitte Vierzig den Hof macht, bringt ihr an Deck einen frischen Orangensaft, woraufhin sie sich bei ihm mit den Worten bedankt: „Sie sorgen für mich wie ein Vater und eine Mutter.“ Schade, denkt Kokoschkin.
Nur dieses Wort. Der Leser weiß ohnehin, worum es geht.
1384mal gelesen
elke66 - 27. Okt, 13:54

ach übrigens, sie werden es vielleicht später merken, wenn sie den text dort oben durchlesen und dann auf den unterlegten titel klicken, dann werden sie merken, dass es nicht klappt, dass nichts gescheites geschieht. das liegt aber weder an mir noch an frau katizas guten ratschlägen, sondern daran, dass dieser link merkwürdigerweise unterlegt nicht funktioniert. aber falls nun jemand trotzdem die dort versuchsweise verlinkte rezension lesen möchte, hier noch einmal der link: http://www.fixpoetry.com/feuilleton/rezensionen/868.html

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