Harriet Köhler

Es sind viel weniger Stühle aufgestellt, als bei Alissa Walser, aber immerhin werden vor der Tür keine Flugblätter gegen sie verteilt.
Ich habe Ostersonntag gelesen, „Und dann dieses Stille“, das Buch, das sie heute vorstellen wird, nicht.
Als ich damals Ostersonntag gelesen habe, bin ich neugierig gewesen, wohlwollend, dann nur noch enttäuscht. Ein intelligentes Buch, habe ich gedacht, klug konstruiert, geschickt gebaut. Jeder Satz wohl überlegt, aber kein Funke, der überspringt. Eine Aussage, aber kein Gefühl.
Später, nach der Lesung, wird Frau Köhler Blumen bekommen, der Strauß steht schon wartend in der Ecke. Ein kleiner Strauß mit gelben Blüten. Dass sie ihn verdient haben wird, weil sie sehr gut gelesen hat, weil man gemerkt hat, dass sie sich mit dem Geschriebenen verbunden hat, weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Vor mir sitzen zwei dunkelhaarige Frauen, Mutter und Tochter. Ich bewundere die silbernen Fäden im Haar der Mutter. Da ist so ein Glitzern und Funkeln. Ein Glanz, der gar nicht in dieses Haar zu gehören scheint, auf diesen Kopf. Verloren, verirrt und vielleicht ist es gerade das, was diese irrlichternde Strähne so schön macht.

Dann kommt Harriet Köhler, sie ist blass und jung und aufgeregt. Ihre Hände zittern ein bisschen, als sie sich Wasser in ihr Glas schüttet. Sie erzählt kurz, dass es sich bei ihrem Roman um die Geschichte von drei Männern handelt, Walter, Jürgen und Nicki und dann beginnt sie zu lesen. Und ich bin erleichtert, denn diesmal klingt alles viel zärtlicher, sinnlicher. Was aber auch daran liegen kann, dass sie es vorliest, denn sie liest sehr gut.
Da sind Stellen, die mich durchaus berühren. Stellen, an denen man sonst wegsieht, über die man nicht schnell genug hinweggehen kann im Alltag, Fragen wie die, wie es ist, wenn die Eltern krank werden, wenn sie sterben. Wenn das, woher man selbst kommt, verschwindet.
Später, im Gespräch, erzählt sie von einem handlungsleitenden Interesse. Sie habe herausfinden wollen, wie lange der Krieg nachwirkt, wie sich das Trauma fortpflanzt von Generation zu Generation. Die drei Männer von denen ihr Roman handelt, seien eine Versuchsanordnung gewesen, um herauszubekommen, welche Rolle das Schweigen spielt.
Ich werde das Buch nicht lesen, aber der Abend war schön.
1274mal gelesen

Aktuelle Beiträge

Ein gesundes, erfolgreiches...
Ein gesundes, erfolgreiches und glückliches Neues Jahr...
die mützenfalterin (Gast) - 4. Jan, 13:05
Schade,
Schade, dass die Xanthippe-Gedichte nun unter Verschluss...
Bess (Gast) - 30. Dez, 14:38
Die Natur des Menschen
Canetti hat die Natur des Menschen auf dem Punkt gebracht....
Susanne Haun (Gast) - 11. Okt, 20:14
Elias Canetti Über den...
"Das Versprechen der Unsterblichkeit genügt, um eine...
Weberin - 11. Okt, 13:25
wie schön. vielen dank....
wie schön. vielen dank. (besonders für die spanische...
Weberin - 21. Aug, 18:44
gedächtnisbruch
der siebte himmel ist ein lichtjahr und aus sägestaub...
M-undpartie (Gast) - 21. Aug, 13:41
Narben
Die verwundete Stille rauscht vorbei meine Weigerung...
Weberin - 21. Aug, 09:59
Und als Fußnote steht...
Und als Fußnote steht da immer der Tod irgendwie ist...
Sofasophia - 13. Aug, 12:14
"Ein hungriger Blick Und...
"Ein hungriger Blick Und hinter den Ohren All das Geschriebene Ausgetriebene Wie...
Bess (Gast) - 10. Aug, 22:51
Zusammen
Ein Stück hartgewordenes Brot Auf der Fensterbank Die...
Weberin - 10. Aug, 18:38

Web Counter-Modul


Suche

 

Status

Online seit 5716 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 4. Jan, 13:05

Credits

Alle Links in Popups öffnen

alle Links auf der aktuellen Seite in einem neuen Fenster öffnen 

Angst
Das lichtscheue Zimmer
Die kurze Geschichte eines langen Lebens
Die Nes Briefe
Ein Mann
Eine Art Tagebuch
es war einmal
Farben
Gesänge
Jede Beschreibung ist falsch
Literaturtage 2010
Literaturtage 2011
November
Orte
Prosa
Rezensionen
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren