Montag, 23. Mai 2011

Hänschen klein


„Leb wohl“, sagt Hänschen zur Mutter. „Ich suche das Glück. Ich habe geträumt, es gibt Glück und das Glück liegt weit ab von hier. In der Fremde klingen meine Schritte nicht folgenlos und deshalb nehme ich den Hut und lasse Dir die Schwester da.“
Die Mutter lehnt im Türrahmen, Hände in den Taschen und in den Zügen kein bisschen geteilte Zuversicht. Das Leben ist kein Spaziergang. Das Leben ist nicht als Heimkehr gedacht.
Du lässt mir die Schwester und den Hunger, denkt sie, aber dann hebt sie doch die Hand und winkt und vergießt ein paar Tränen über die Sinnlosigkeit des Verlustes.

Der Morgen graut, der Abend naht, so gehen die Tage und die Nächte sind verschwiegen. Was in uns liegt, passt in keinen Traum und in kein Erwachen, also lassen wir es liegen und kümmern uns nicht darum. Der Sohn fort gegangen, unterwegs auf der Suche nach dem Glück, die Tochter zurückgeblieben und von einem Mann war erst gar nicht die Rede.
Die einen machen ihr Glück, während die anderen es nur suchen und die Mutter bleibt zu Hause und lässt die Tage verschwinden. Ab und zu ein Traum wie eine Postkarte. Die Versuche, die nicht aufgeben, wenn wir schon längst unsere Fahnen gestreckt haben.

Sieben Jahre lang in die Luft sehen, trüb und klar und dann eines Morgens den Heimweg antreten. Die Sonne im Rücken, die Schritte seltsam schwer, aber Hänschen ist jetzt Hans geworden und so schreitet er voran, ohne noch einmal einen Blick zurück zu werfen, auf die begangenen sieben Jahre, die hinter ihm liegen, vergangen und vorbei. Vor ihm liegt die Zukunft, vor ihm liegt der Weg nach Hause. Aber kaum hat er den Pfad betreten, endet er auch schon. Der Heimkehrer kann seine eigenen Gedanken nicht verstehen so laut ist das Gerede im Dorf. Seine Schwester ist die erste, die ihn sieht. Sie starrt ihn an und läuft nach Hause zur Mutter. „Mutter, Mutter, da ist ein Fremder ins Dorf gekommen. Braun gebrannt, Stirn und Hand.“ Und die Mutter rührt in der Suppe, hebt den Blick, lächelt ihr müdes Lächeln. „Bleib nur hier. Ich will ihn mir ansehen.“

Und wieder Tränen in den Augen, sobald sie ihn sieht. Sehen und erkennen sind eins und auch die Frage: „Was hast du mitgebracht, Hans, mein Sohn?“ Und der zeigt ihr seine Narbe und sie nickt. Jetzt hat mir das Leben auch noch das Warten genommen, denkt sie und kehrt mit dem Sohn in ihr Haus zurück.
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