Donnerstag, 3. Februar 2011

In der Zugluft Europas von Olga Martynova

Lass sie uns vergessen
Die langen Nasen der Gegenwart
Was ist Vergangenheit
Und wie hebt man sie auf

In der Zugluft Europas stehen
Ohne fliegen zu können
Heißt auf Wunder zu warten
Auf eine Stimme die trägt


Das war die erste Reaktion. Die gefühlte, spontane, diejenige, die kein Nachdenken erforderte. Etwas das passierte nachdem ich Martynovas Gedicht in der Zugluft Europas gelesen hatte.
Danach kamen die Fragen.
Was ist eine Erzählung ohne Stimme? Eine Geschichte ohne Sprecher oder das Schweigen selbst? Eine Geschichte, die vorbeizieht (in der Zugluft), ohne erzählt zu werden?
Und wenn das der Fall ist, das eine oder das andere (und nicht noch ein Drittes eigentlich gemeint ist, dem ich nicht auf die Spur komme), warum findet sich kein Sprecher? Warum liegt die Geschichte im Stillen?
Um ohne Stimme erzählt zu werden, mit all den Stimmen der aufgetrennten Nähte?
So pflanzen sich die Fragen fort. Mit jeder möglichen Antwort, mit jeder möglichen Erklärung.
„Wir brauchen die Lösung nicht zu lesen“, schreibt Borges, „das Rätsel ist da.“
Das Rätsel, die Fragen sind das, was der Geschichte die Stimme verleiht. Das ist, was es so seltsam macht in der Zugluft Europas zu stehen.
„Die Spalten in diesem Raum dichtet niemand zu“, schreibt Olga Martynova. Und sie hält sich daran. Nichts dichtet sie zu. Sie öffnet Räume, sie öffnet Ohren für das Verschwiegene, das Unsagbare und das Schweigen selbst.
Solcherart hat ihr Gedicht (und ihre Dichtung allgemein) eine ganz besondere Stimme, die mehr tut als zu erzählen. Die das Erzählte in Frage stellt und sich dennoch behauptet. Der Zugluft ausgesetzt, aber nichts desto trotz standhaft.
Wir alle erzählen sie und doch keiner, die Geschichte, die keine Stimme hat. Jede Antwort ist ein Versuch. Der Versuch einer Stimme, die die Erzählung nicht hat. Die sie vielleicht abgegeben hat an das Gedicht. An das Gedicht und die Fragen, die es uns stellt.
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